Wie man nicht seinen 30ten Geburtstag feiert

Alpha, das erste Set von Magic the Gathering, kam im Jahr 1993 raus. Anders gesagt: Unser Lieblingsspiel wird 30 Jahre alt. Wenn man im Internet jedoch nach diesem Jubiläum sucht, findet man eher Kontroverse. Was ist passiert?

Zum Jubiläum bringt Wizards die 30th Anniversary Edition raus. Was ist in dem Set? Reprints von Alpha und Beta. Ein paar Karten fehlen wegen rassistischen Motiven oder anderen Gründen, aber alles wichtige ist dabei. Black Lotus, Dual Lands, Moxen. Alles, was man haben möchte.

Zu schön, um wahr zu sein? Ja.
Erstens: Die Karten haben einen neuen Rücken und sind nicht turnierlegal, also effektiv Proxies.
Zweitens: Eine Box, bestehend aus vier Boostern mit jeweils 15 dieser Karten und kostet 999 US-Dollar, also ungefähr das gleiche in Euro.

Knapp 1.000 € für 60 Karten, die man nicht mal offiziell spielen darf. Muss ich erklären, wo die Kontroverse liegt?

Erstmal zu dem Proxy-Aspekt: Es ist leider nicht wirklich verwunderlich, dass die Karten nicht „richtig“ neu aufgelegt wurden, da so ziemlich alle interessanten Karten wie eben auch Black Lotus auf der Reserved List stehen und Wizards damit versprochen hat, diese nicht zu reprinten. Da liegt also nicht das Problem.

Bleibt also nur noch der Preis. Vergleichen wir mal die Preise pro Karte in verschiedenen Produkten: In einem normalen Draft Booster (bei Gate to the Games einzeln für 3,49 €) kostet eine Karte rund 23 Cent. In einem Commander Deck (hier ab 34,99 €) kostet eine Karte rund 35 Cent. In einer Secret Lair (das Premium-Produkt schlechthin mit Gast-Künstlern, neuen Rahmen und oft wertvollen Reprints zahlt ihr rund 8,75 € für eine Karte. In diesem Set, mit dem das Jubiläum des Spiels gefeiert werden soll, kostet eine Karte rund 16,67 €. Dafür bekommt ihr dann aber sowas spektakuläres wie Lance.

Zugegeben, manchmal ist es auch etwas noch spektakuläres wie eben ein Black Lotus. Wobei, nein, eine Proxy von einem Black Lotus. Black Lotus Proxies bekommt ihr übrigens auch für etwa 10 €. Nicht eine, sondern ein ganzes Playset. Die Internetseiten, die sowas verkaufen, sind zwar nicht seriös, aber auch nicht wirklich unseriöser als so ein Produkt.

Ganz ehrlich, hier könnten noch viele Zeilen Aufreger stehen. Wie wertlos das Produkt ist, wie gnadenlos überteuert der Preis. Dazu hat sich aber schon jeder Youtuber unter der Sonne ausgelassen und Aufreger sind als Video unterhaltsamer als als Text. Lasst uns also über drei Dinge reden, die in all der Aufregung noch nicht ganz so sehr beleuchtet wurden.

1. Was kann man alles für den Preis von 60 Proxy-Spielkarten kaufen?

Statt 60 Proxies könnt ihr folgendes kaufen:

  • Zehn Draft Booster Displays, genug, um 15 Drafts mit je acht Spielern zu veranstalten.
  • Knapp 30 Commander Decks, wahrscheinlich genug, um mehr Commander mit immer neuen Decks zu spielen, als ihr überhaupt wollt.
  • Zwölf mal zwei Challenger Decks, für gewöhnlich genug, um zwölf mal ein aktuelles Meta-Deck für Standard oder Pioneer zu bauen.
  • 144 4-Row Storage Boxen, genug Platz für mehr als eine halbe Million Karten.
  • Acht Ultimate Guard Vago Rucksäcke. Nicht wirklich sinnvoll für einen einzelnen Magic Spieler, aber vielleicht wollt ihr ja mal mit eurem Freundeskreis eine Wandertour machen oder so.
  • Alle Fetchlands im Playset. Das sind nicht nur alles hochrelevante Karten, nein, ihr dürft sie sogar auf Turnieren spielen!

Gehen wir mal von Magic weg, was kann man sonst so für 1.000 € kaufen?

  • Einen Gebrauchtwagen – Zugegeben, viel Auto bekommt man für den Preis nicht, aber für ein erstes Auto reicht es.
  • Etwa 25 Brettspiele – Es muss nicht immer ein Sammelkartenspiel sein.
  • Eine aktuelle Konsole mit diversen Spielen oder einen zumindest soliden Gaming-PC.
  • Schreibtisch, Stuhl, Bett und einiges mehr für die Einrichtung einer Wohnung.

Übrigens, weil es so viel Spaß macht, noch eine Alternative: Essen für einen Menschen in Afrika für einen Tag kostet laut Hilfsorganisationen 40-70 Cent pro Tag. Mit einer Spende, die euch so viel kostet wie 60 Proxies, könntet ihr also ungefähr fünf Menschen einen Monat lang ernähren. Unfairer Vergleich? Eure Entscheidung…

Und ganz ehrlich: Ich habe weder Ahnung vom Gebrauchtwagenmarkt noch von Lebenskosten in Afrika. Kann gut sein, dass ich ein wenig daneben liege. Aber das ist doch egal. Hier vergleichen wir ein Auto mit 60 Spielkarten, die eigentlich nicht mal welche sind. Das ist absurd.

2. Was hätte sein können?

Das Konzept ist eigentlich gut: 30th Anniversary Edition könnte Drafts des allerersten Magic-Sets ermöglichen. Stellt euch vor, ein Booster würde die üblichen 4 € kosten statt 250 €. Es wäre eine tolle Gelegenheit, für einen fairen Preis die Ursprünge von Magic hautnah zu erleben. Selbst wenn die Kosten für die Verwendung der ikonischen Artworks für Wizards höher sind (oder man einfach nur mehr Profit machen möchte), wären 10 € pro Booster kein Problem gewesen. Auch für 30 € hätten viele Fans die Gelegenheit genutzt, das Gefühl eines Alpha-Drafts zu erleben. Für 750 € für drei Booster spielt doch niemand mit den Karten.

Wenn man unbedingt so ein Set rausbringen will, sollte es wenigstens richtig krass werden: Wizards hat doch immer mal wieder alte Displays in „vergessenen Lagerhäusern“ oder so rumfliegen. Man stelle sich mal vor, in jeder Box wäre ein Beta-Booster oder sowas. So wäre es immerhin eine Jagd nach einem echten Schatz und nicht nach dem papiernen Äquivalent von Katzengold.

Übrigens gibt es ein schönes Set zur Feier des 30ten Geburtstags: Das 30th Anniversary Countdown Kit bietet euch für 150 € 30 Karten aus jeweils jedem Jahr der Geschichte des Spiels, jede in neuem Artwork und turnierlegal! Das ist auch kein perfektes Produkt und definitiv teuer, aber es ist immer noch um Welten vernünftiger und wirkt immerhin wirklich wie eine liebevolle Feier des 30ten Jubiläums.

3. Die Konsequenzen

Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft: Was bedeutet dieses Set für die Zukunft?

Zuerst einmal sind „offizielle“ Proxies wieder auf dem Tisch. Während die in diesem Set reichlich nutzlos sind, reicht ein Blick auf die World Championship Decks der Vergangenheit, um zu erkennen, dass das etwas sehr gutes sein kann. Vielleicht erwarten uns also Proxy-Reprints von Decks, die Turniere abgeräumt haben. So kann man immerhin am Küchentisch für (hoffentlich) kleines Geld auf hohem Niveau spielen, ohne die Karten auszudrucken.

Dann müssen wir noch einmal über die Preise reden. Ich will hier nicht so tun, als wäre ich Experte, aber grundsätzlich funktionieren die Herstellung und der Handel mit Magic-Karten und so ziemlich jedem anderen Gut folgendermaßen: Zuerst wird das Gut hergestellt. Dabei entstehen Kosten. Bei Magic ist das ganz offensichtlich der Karton der Karten, die Kosten für Druck, Verpackung und so weiter. Dazu kommen Kosten für die Entwicklung des Spiels, für die Künstler, die die Artworks erstellen und so weiter. Diese Kosten bleiben ungefähr immer gleich. Natürlich unterliegen sie Inflation und anderen Preisschwankungen und manche Sets sind durch viele Reprints vielleicht etwas günstiger zu designen etc., aber viel dürfte das nicht ändern. Hasbro verkauft das Produkt dann für einen gewissen Preis an Distributoren. Dieser Preis setzt sich zusammen aus den Produktionskosten und einer Gewinnmarge, weil Hasbro natürlich auch Geld verdienen will. Die Distributoren verkaufen wiederum die Produkte zu einem wieder höheren Preis an die Händler, die sie zu einem nochmal höheren Preis an euch verkaufen. Soweit ist das alles auch völlig in Ordnung und wird bei Obst und Gemüse auch genauso gemacht. Die Preise bei einem Distributor für ein Display liegen laut manchen Internetforen zwischen 60 und 70 $, also etwa dem gleichen betrag in Euro. Sagen wir also, die Distributoren kaufen ein Display für 50 € bei Hasbro. Das bedeutet, um Gewinn zu machen, müssen die Herstellungskosten für ein Display Magic-Karten unter 50 € liegen. Manche gehen von etwa 25-30 $ aus. Ob das stimmt, kann ich euch nicht sagen, aber ungefähr in dem Bereich wird es liegen. Es deckt sich auch ungefähr mit dem, was man aus der Brettspielbranche hört.

Warum die Rechnung? Ein Display Draft Booster enthält 540 Karten. Sagen wir, das Set zum 30ten Geburtstag ist total toll eingepackt und kostet deshalb das gleiche wie ein normales Display in der Herstellung. Sagen wir, Wizards hat viel Geld in die Hand genommen, um klassische Artworks wiederzuverwenden, weshalb die Herstellungskosten von einer Box 30th Anniversary sogar doppelt so hoch sind wie die von einem Display. Dann sind wir bei 50 $ Herstellungskosten, also einem Aufschlag von entspannten 1950 %. Zum Vergleich: Bei einem normalen Display gehen wir nach meinem Rechenbeispiel von einem Aufschlag von etwa 100 % aus.

Das ist nicht einfach nur teuer. Wir sind teuer gewohnt. Das ist eine völlige Entkopplung des Preises eines Produkts von dessen Herstellungskosten. Übrigens profitieren Händler kaum davon, da dieses Produkt direkt von Hasbro selbst vertrieben wird. Es bedeutet nicht, dass Magic immer teurer wird. Es bedeutet, dass die Preise von Produkten völlig willkürlich festgesetzt werden. Zum Vergleich: Stellt euch vor, ein Bäcker hat Geburtstag und verkauft seine Brötchen zur Feier des Tages statt für 50 Cent einfach für zehn Euro das Stück. Ist das eine vernünftige Geschäftspraxis?

Eine letzte Konsequenz möchte ich noch beleuchten: Magic (oder Sammelkarten allgemein) als Spekulationsobjekt. Es gibt Youtuber, die denken, das Set würde ein voller Erfolg und sofort ausverkauft werden. Und ich stimme zu. Nicht, dass irgendjemand etwas damit anfangen oder gar, Gott bewahre, mit den Karten spielen würde. Leute werden das Set in der Hoffnung kaufen, es für einen höheren Preis wieder zu verkaufen. Leute werden das Set öffnen und hoffen, die einzelnen Karten teurer verkaufen zu können. Daneben machen sie auf Youtube vielleicht auch noch Klicks. Auch das ist übrigens nichts neues: Nehmt das letzte Kamigawa und die Neon Ink Versionen von Hidetsugu, von denen die teuerste inzwischen 2.000 € kostet. Die Beispiele sind mannigfaltig und werden mit jedem Set und jeder neuen ultraseltenen Variante einer Karte immer mehr. Sie haben aber einen positiven Nebeneffekt: Die normalen Varianten einer Karte werden dadurch günstiger, der Preis neuer Einzelkarten im Schnitt also auch. Für Spieler ist das super, und Sammler haben alle möglichen Schätze, denen sie nachjagen können. Ein solcher Aspekt fehlt hier aber völlig.

Abschließend noch ein Tipp: Wenn ihr eine Proxy von Black Lotus möchtet, nehmt euch einen Zettel, schneidet ihn auf Größe einer Magic-Karte, schreibt Black Lotus drauf und schiebt ihn vor ein Standardland oder eine Common in eine Hülle. Wenn ihr etwas luxuriöser unterwegs sein wollt, gibt es mittlerweile innovative Geräte namens Drucker. Auf offiziellen Turnieren dürft ihr damit wohl nicht spielen, auf manchen kleinen und am Küchentisch aber schon, genau so, wie mit diesen „Karten“.

Denn Proxy ist Proxy.

Wie findet ihr das Magic the Gathering Jubiläums-Set?

Euer Berkut

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